Zwischen naivem Realismus und pathetischer Abstraktion – Gerhard Richters Werk

Posted by on November 9, 2015 in BLOG | 0 comments

Zwischen naivem Realismus und pathetischer Abstraktion – Gerhard Richters Werk

Es gibt Menschen, die sehen Kunst als die Fertigkeit an, das Reale eins zu eins in ein Bild zu übersetzen. Künstler wären dann so etwas wie Reproduktionsautomaten, in die wir ein Bild hinein geben und dann kommt es möglichst originalgetreu wieder raus. Was aber sollte diese Fähigkeit der Fotokunst voraus haben? Wir würden irgendwann nur noch bewundern, dass ein Mensch ähnliches wie eine Maschine kann. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die an dieser technischen Begabung nur wenig Kunst erkennen und so vielmehr der Abstraktion durch Kunst den Vorzug geben. Was also ist Kunst?

 

Gerhard Richter erlernte in der DDR vor allem die Technik (und war so auch ein Reproduktionskünstler) nach seiner Flucht nach Westdeutschland allerdings übte er sich bis in haltlose Abstraktion. Zwischen den schweren und am Realismus orientierten Systembauten des Ostens und den an Freiheit besoffenen Künstlern des Westens (Fluxus) war Richter wohl zunächst wie ein Blatt im Wind. Seine Kunst pendelte zwischen Realismus und Abstraktion. Als Künstler ohne System war Richter auf eine fließende Formensprache und Ausdrucksweise angewiesen. Ein “Chamäleon der Bildenen Kunst” wie er später bezeichnet wurde. Dennoch war er dies nicht. Denn von der Anpassung, die ein Chamäleon an sein Umfeld vollzieht, war bei genauer Betrachtung seines Werkes nur wenig zu spüren. Richter wechselte Kategorien und war keiner metaphysischen Kunstauffassung zuzuordnen. Ohne den Boden zu verlieren, orientiere sich Richter ganz postmodern an den Einflüssen der Wirklichkeit, ohne diese zu überhöhen oder zu behaupten, dass wir einen klaren Blick auf die Realität hätten. Kein überbordendes Künstlerego erschuf bei Richters Kunst neue Welten, doch es war auch keine reine Reproduktion der Realität. Richter entwickelte eine Technik, die sich zwar an der Realität ausrichtete zugleich aber ein Element einführte, was über die Realität hinauswies. DDR-Realismus unter den Haut westlicher Abstraktion, so könnten wir wohl Richters Werk im Ansatz verstehen.

Im Zyklus “RAF” setzte Richter sein Hauptaugenmerk nicht etwa auf das vom Künstler wieder erschaffene Abbild von Realität, wie es in der zeitgenössischen Malerei üblich war, sondern er benutzte Farbe und Pinsel, um ein originalgetreues Foto herzustellen. Erst dann begann er es zu entfremden. Es mag merkwürdig anmuten, dass er zunächst einen ungeheuren Aufwand betrieb, um ein Bild in Form des Fotorealismus zu erhalten, dann aber doch diesen Fotorealismus nicht wollte. Dieses aber war mehr ein Grundzug des Kampfes zwischen Malerei und Fotografie, welcher damals in den 70er vorherrschend war.

Das Foto galt seit jeher als Gefährdung für die Kunst. Maler hatten noch niemals wirklich den Fotografen als vollwertigen Künstler unter sich aufgenommen. Da kommt einer und knippst ein Foto und behauptet er hätte ein Kunstwerk erschaffen. Aber war es vielleicht auch nicht mehr als eine gewisse Arroganz der tätigen Hand gegenüber dem knipsenden Geek? Ging es wirklich um die Ablehnung des perfekten Replikats einer Realität? Es war wohl auch Prestige, das Künstler dazu verleitete, eine elitäre Auffassung von Kunstproduktion zu verteidigen: Realität musste zuallererst durch den überhaupt schöpferischen Geist des Menschen laufen, um dann intellektuell verdaut überhaupt als Kunst zu gelten. Wir können mit den ersten Auftritten der Fotografie doch tatsächlich  eine Verweigerung der Apparatenkunst bei den Malern erkennen, die sich bald bis in die Abstraktion steigerte, die mit Realität selbst nicht mehr als das Material gemein haben sollte. Als Pollock nur noch Farben auf die Wand klatschte, schien es so als würde die Kunst sich für Realität überhaupt nicht mehr interessieren. Das Handwerk der Kunst missachtete also bald pure Abbildungen der Realität und erklärte das ursprüngliche Land der Kunst zu einem Land außerhalb der Realität.

Zu der Zeit als Richter in den Westen floh gerat das Foto zur Massenware. Der  Stellenwert des Fotos lag in dieser Überproduktion (ein Zeichen für die Freiheit des Westens) weit entfernt von künstlerischen Maßstäben. Doch genau in dieser überbordenden Freiheit, die der Massenware letztlich keinen Wert mehr zugestand, in diesem Produkt einer kapitalistischen Produktionsfreiheit entdeckte Richter mehr als seine zynischen Kollegen. Die sinnentleerte Reproduktion wie etwa in der Popart oder im Fluxus konnte Richter nicht übernehmen, viel zu sehr drängte noch die Frage nach dem letzten Quantum an Realität hinter den Reproduktionen und ihrem damit verbleibenden Restwert an Kunst, der vielleicht aber gerade das Essentielle der Kunst sein sollte.

Richter fand in den vorliegenden, willkürlich ausgewählten Amateurfotos etwas Unverbrauchtes, Reines – einen authentischen Zugang zur Wirklichkeit. Der Titel der Dokumentation über Richter drückt es daher passend aus: “Meine Bilder sind klüger als ich”. Nicht das eigene künstlerische Superego schöpfte geistiges Eigentum, sondern an der Wirklichkeit gewann sich erst so etwas wie Kunst. Die Wirklichkeit ist schließlich nicht negierbar, allerdings sind die Perspektiven vielfältig. Dieses künstlerische Moment hob Richter forsch gegenüber allen Traditionen hervor. Im Jahre 1966 sagte er:

“Ich finde manche Amateurfotos besser als den besten Cezanne. Bilder müssen nach Rezepten hergestellt werden. Wie Fassaden streichen, es geht überhaupt nicht darum, die Bilder zu malen, weil Malen eine moralische Handlung ist. […]”

Damit wollte Richter natürlich provozieren, gleichzeitig erscheint es, als würde er das Superego des Künstlers in den Hintergrund treten lassen wollen. Nicht der Künstler, sondern das mechanisierte Rezept sollen eine Nähe zur Kunst erzeugen. Die Ablehnung der Moral bezog sich hierbei wohl vor allem auf die falsche Moral einer elitären Kunstauffassung, aber richtete sich wohl auch gegen die metaphysischen Überhöhungen einer Erziehungskunst aus der DDR. Weder purer Idealismus noch naiver Realismus, sondern verwirklichende Kunst standen im Mittelpunkt. Amateurfotos waren daher für Richter wesentlich interessanter, denn ihn reizte das, was nahe am Menschen und damit an der Wirklichkeit ist. Anstatt fixiert auf die Kunstgeschichte zu sein, ging er mit offenen Augen für das Neue, das tatsächlich Zeitgenössische, auf die Welt zu, denn für ihn brachte ein bloßes Lernen aus der Kunstgeschichte meist nur eine sinnentleerte Wiederholung hervor. Der Inhalt aber war nicht in der bloßen Form zu finden. Um umgekehrt auch nicht in einen naiven Realismus zu verfallen, verfremdete Richter die fotorealistisch-gemalten Werke gezielt mit abstrakten Akzenten und verwendete sogar Spiegel beim Malen, um sich selbst nocheinmal distanziert mit dem Bild aus allen verschiedenen Blickwinkeln auseinanderzusetzen. Auch verwischte er die noch feuchten Ölbilder, wobei dennoch ein Zugang zur ursprünglichen Wirklichkeit verblieb. Der klare Blick war verstellt, aber hier zeigte sich, was Kunst vielleicht auch ausmachte, wenn der Künstler sich der Realität näherte.

In Richters Kunst erfuhr die Kunst ihre eigenen Grenzen der Perspektivität und sollte als Perspektive auch ihre Wendung auf sich selbst erleben. Richter schöpfte die Realität ab und deutete sie in ihrer Perspektivität nach idealen, transzendentalen Gesichtspunkten. Doch auch diese Darstellung der Grenzen an sich hatte Grenzen. So entschied sich Richter zum Beispiel auch bei seinem Werk“Abstraktes Bild”, dieses aus dem RAF-Zyklus zu entfernen. Schließlich übermalte er es mit weißer Farbe, denn offensichtlich war er zurück in die Grenzen des Moralischen gefallen. Das Bild wahrte keine Neutralität, erinnerte an Jesus, weckte Assoziationen, die tatsächlichen Beweggründe aber bleiben Spekulation. Dennoch das scheinbare Scheitern einer Kunst der Grenzen ist vielleicht kein Scheitern, denn Richter hatte vielleicht auch nur die Grenze der Grenze näher bestimmt. Richters Kunst lässt sich daher nicht kategorisieren, weil sie eben die Grenze des künstlerischen Moments aus der neueren Realität gewann. Die Realität aber entzieht sich heute ihrer Deutungshoheit und kann nicht mehr ohne weiteres von einem Künstler-Super-Ego erfasst werden.

Norman Schultz

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